Zur Frage der Vergütung von Fahrzeitunterbrechungen eines Busfahrers im Linienverkehr

BAG, Urteil vom 28.01.2015 – 5 AZR 536/13

Zur Frage der Vergütung von Fahrzeitunterbrechungen eines Busfahrers im Linienverkehr

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg – Kammern Mannheim – vom 31. Januar 2013 – 16 Sa 129/12 – aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Vergütung von Wartezeiten im Linienverkehr.

2
Der Kläger war beim beklagten Omnibusunternehmen bis zum 31. März 2012 als Busfahrer im Linienverkehr beschäftigt. Kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme fand auf das Arbeitsverhältnis der Manteltarifvertrag Privater Kraftomnibusverkehr in Baden-Württemberg (im Folgenden: MTV) in der jeweiligen Fassung Anwendung, der auszugsweise lautet:

㤠3

Arbeitszeit

3.4

Die Lenkzeiten, Lenkzeitunterbrechungen, Pausen und Ruhezeiten im Linienverkehr bis 50 km nach §§ 42, 43 PBefG sowie im Verkehr nach der Freistellungsverordnung ergeben sich aus § 1 der Fahrpersonalverordnung vom 27. Juni 2005.

3.5

Im Linienverkehr über 50 km sowie im grenzüberschreitenden Linienverkehr und Gelegenheitsverkehr sind bezüglich Tagesruhezeit, Wochenruhezeit, Lenkzeiten und Pausen die in VO EG 561/2006 und gegebenenfalls im AETR festgelegten Zeiten maßgebend.

3.6

Arbeitszeiten im Gelegenheitsverkehr sind:

● Lenkzeiten (Dienst am Steuer)

● Arbeitsbereitschaft und Wartezeiten bis zu 3 Stunden je Arbeitsschicht

● Wartungsarbeiten

● Reparatur- und Werkstattarbeiten

● Liegetag, der nicht Ruhetag im Sinne der wöchentlichen Ruhezeit nach VO EG 561/2006 ist.

§ 5

Begriffsbestimmungen im Gelegenheitsverkehr

5.1

Arbeitsbereitschaft

Als Arbeitsbereitschaft gelten die Zeiten, während denen der Arbeitnehmer nicht frei über seine Zeit verfügen kann.

5.2

Wartezeit

Wartezeit ist die Zeit, die während der Arbeitsschicht anfällt, wenn der Arbeitnehmer von jeder beruflichen Tätigkeit freigestellt ist und über seine Zeit frei verfügen kann.

5.3

Liegetag

Liegetag ist eine Wartezeit von 24 Stunden, die während einer Fahrt im Gelegenheitsverkehr anfällt.

5.4

Pausen

Pausen sind Zeiten, in denen der Arbeitnehmer von jeder beruflichen Tätigkeit freigestellt ist.

Innerhalb einer Arbeitsschicht müssen eine oder mehrere Ruhepausen liegen. Sie sind den Erfordernissen des Betriebes entsprechend einzulegen. In einer Arbeitsschicht

● bis zu 9 Stunden sind Pausen von insgesamt mindestens 1/2 Stunde,

● über 9 Stunden sind Pausen von insgesamt mindestens 1 Stunde,

● über 12 Stunden sind Pausen von insgesamt mindestens 2 Stunden,

● über 15 Stunden sind Pausen von insgesamt mindestens 4 Stunden,

einzulegen.

5.5

Ruhezeit

Ruhezeit ist jeder ununterbrochene Zeitraum von mindestens einer Stunde, in dem der Fahrer frei über seine Zeit verfügen kann.

§ 6

Arbeitsschicht und Arbeitszeit

6.1

Schichtzeit ist der Zeitraum zwischen Arbeitsbeginn und Arbeitsende einschließlich Arbeitsbereitschaftszeiten, Wartezeiten und Pausen.

6.2

Teilschichten sind möglich.

Die Zeit zwischen den Teilschichten gilt als Freizeit, sofern die Unterbrechung mehr als 2 Stunden dauert und der Fahrer von jeglicher Arbeitsleistung befreit ist. Mehr als zwei Mal geteilte Schichten pro Tag bedürfen einer Betriebsvereinbarung.

6.3

Verteilung der Arbeitszeit.

Die Verteilung der regelmäßigen Arbeitszeit auf die Wochentage sowie die Regelung von Beginn und Ende der Arbeitszeit, der Arbeitsschicht und der Ruhepausen erfolgt in Betrieben mit Betriebsrat entsprechend den betrieblichen Erfordernissen im Benehmen mit dem Betriebsrat und unter Beachtung der arbeitszeitrechtlichen Bestimmungen.

6.4

Die im Fahr-, Werkstatt- und Betriebsdienst Beschäftigten sind verpflichtet, gesetzlich oder tariflich zugelassene Mehr-, Sonntags- und Feiertagsarbeit zu leisten.

§ 8

Grundsätze der Entlohnung

8.1

Bezahlt wird nur tatsächlich geleistete Arbeit, soweit in diesem Tarifvertrag nichts anderes bestimmt ist.

8.2

Mit 100 % des Stundenlohnes werden vergütet:

● Lenkzeiten (Dienst am Steuer)

● Arbeitsunterbrechungen, die unter den gesetzlichen Normen liegen,

● Arbeitsbereitschafts- und Wartezeiten bis zur Dauer von 3 Stunden je Arbeitsschicht,

● Wartungsarbeiten,

● Vor-, Abschluss- und Pflegearbeiten,

● Reparatur- und Werkstattarbeiten,

● Schaffnerdienst,

● sonstige Arbeiten.

8.3

Mit 50 % des Stundenlohnes werden vergütet:

Arbeitsbereitschafts- und Wartezeiten, die 3 Stunden je Arbeitsschicht überschreiten.“

3
Der Einsatz des Klägers erfolgte nach mit dem Betriebsrat vereinbarten Schichtplänen. Diese sahen zeitlich festgelegte Fahrzeitunterbrechungen vor, die von der Beklagten als „unbezahlte Pausen“ gekennzeichnet wurden. Während dieser Unterbrechungen war der Kläger von jeder Arbeits- und Anwesenheitspflicht befreit.

4
§ 2 einer Betriebsvereinbarung vom 9. April 2008 lautet:

„1.

Gesetzlich vorgeschriebene Lenkzeitunterbrechungen und Pausen rechnen nicht als Arbeitszeit.

2.

Betriebsbedingte Arbeitszeitunterbrechungen von bis zu 14 Minuten sind jeweils auf die Arbeitszeit anzurechnen. Pro Dienstschicht erfolgt eine Gesamtanrechnung bis maximal 45 Minuten.

…“

5
Entsprechend dieser Betriebsvereinbarung vergütete die Beklagte arbeitstäglich pauschal 45 Minuten.

6
Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte müsse die von Februar 2011 bis März 2012 angefallenen Fahrzeitunterbrechungen kraft der tarifvertraglichen Regelung als Wartezeit vergüten.

7
Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.009,18 Euro brutto nebst Zinsen in gestaffelter Höhe zu zahlen.

8
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, nur Wartezeiten im Gelegenheits-, nicht aber im Linienverkehr seien vergütungspflichtig.

9
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe
10
Die Revision des Klägers ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht zurückgewiesen. Der Kläger hat Anspruch auf Vergütung der im Zeitraum Februar 2011 bis März 2012 angefallenen Fahrzeitunterbrechungen, die über wirksam angeordnete Pausen hinausgingen. Die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts lassen eine Entscheidung über die Höhe dieses Anspruchs nicht zu. Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht, § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

11
I. Die Klage ist zulässig. Der Streitgegenstand ist hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der Kläger macht Vergütung für im Einzelnen nach Tagen und Uhrzeiten aufgeschlüsselte Fahrzeitunterbrechungen geltend, die in ihrer Summe über die gesetzlichen Mindestpausen hinausgehen. Ob Teile der Gesamtforderung wegen der nach § 2 Nr. 2 der Betriebsvereinbarung vom 9. April 2008 geleisteten Zahlungen bereits erfüllt sind, ist eine Einwendung der Beklagten und von dieser näher darzulegen.

12
II. Als im Linienverkehr eingesetzter Busfahrer hat der Kläger nach § 8 Abs. 2 Unterpunkt 3 MTV iVm. § 611 BGB Anspruch auf Vergütung seiner Wartezeiten, soweit es sich nicht um wirksam angeordnete Pausen handelte.

13
1. Nach § 8 Abs. 2 Unterpunkt 3 MTV sind „Arbeitsbereitschafts- und Wartezeiten bis zur Dauer von drei Stunden je Arbeitsschicht“ mit 100 % des Stundenlohnes zu vergüten. Hierzu rechnen auch die im Linienverkehr anfallenden Wartezeiten. § 5 Abs. 2 MTV nimmt Wartezeiten im Linienverkehr nicht von der Vergütungspflicht aus. Vielmehr trifft die darin gegebene Begriffsbestimmung auch auf die Wartezeiten im Linienverkehr zu. Zeiten, die während der Arbeitsschicht anfallen, wenn der Arbeitnehmer von jeder beruflichen Tätigkeit freigestellt ist und über seine Zeit frei verfügen kann, gibt es auch im Linienverkehr. Ebenso wenig findet sich im Wortlaut des § 8 MTV ein Anknüpfungspunkt für eine Beschränkung auf den Gelegenheitsverkehr (vgl. BAG 23. Oktober 1991 – 4 AZR 121/91 – Rn. 20). Ausgehend von der Überschrift „Begriffsbestimmungen im Gelegenheitsverkehr“ könnte zwar vertreten werden, § 5 Abs. 2 MTV definiere Wartezeiten ausschließlich für den Gelegenheitsverkehr und berechtige so zu der Annahme, außerhalb des Gelegenheitsverkehrs gebe es keine Wartezeiten im tariflichen Sinn. Doch regelt der MTV keine Begriffsbestimmungen allein für den Linienverkehr, eine § 5 MTV entsprechende Regelung für den Linienverkehr fehlt. Vielmehr finden sich ausschließlich im § 5 MTV Erläuterungen zu Begriffen, die auch im Linienverkehr Bedeutung besitzen. Ein Beispiel findet sich in § 5 Abs. 4 MTV. Die dort definierten Pausen gibt es nicht nur im Gelegenheitsverkehr, auch im Linienverkehr sind sie rechtlich geboten und notwendig. Dieser Befund begründet durchgreifende Zweifel, ob überhaupt der Überschrift des § 5 MTV eine die Tarifauslegung bestimmende Bedeutung beigemessen werden kann. Darüber hinaus spricht gegen eine rechtliche Relevanz der Überschrift des § 5 MTV, dass im Abs. 3 der „Liegetag“ definiert wird als eine Wartezeit von 24 Stunden, die „während einer Fahrt im Gelegenheitsverkehr anfällt“. Diese Begriffsbestimmung wäre ohne tieferen Sinn, wenn die Begriffsbestimmungen des § 5 MTV ohnehin und ausschließlich im Gelegenheitsverkehr gölten.

14
Besonders deutlich belegt die Verwendung des Begriffs „Wartezeit“ in § 6 Abs. 1 MTV, dass Wartezeiten auch im Linienverkehr anfallen können. So bestimmt § 6 Abs. 1 MTV, dass Schichtzeit „der Zeitraum zwischen Arbeitsbeginn und Arbeitsende einschließlich Arbeitsbereitschaftszeiten, Wartezeiten und Pausen“ ist. Daraus folgt, dass zur Schichtzeit auch Wartezeiten gehören. § 6 MTV enthält keine Beschränkung auf den Gelegenheitsverkehr. Vielmehr werden gerade im Linienverkehr Schichtdienste geplant und durchgeführt. Gilt aber § 6 MTV auch für den Schichtdienst im Linienverkehr, folgt daraus, dass auch im Linienverkehr Wartezeiten im tarifrechtlichen Sinne anfallen können.

15
2. Der Kläger hat nach seiner Darlegung während der von ihm erbrachten Arbeitsschichten Wartezeiten iSv. § 8 Abs. 2 Unterpunkt 3 iVm. § 5 Abs. 2 MTV absolviert. Allerdings steht ihm ein Anspruch auf Vergütung dieser Wartezeiten nur zu, soweit für diese Unterbrechungen der Arbeitsleistung nicht wirksam Pausen angeordnet waren.

16
a) Pausen und Wartezeiten können sich zeitlich überschneiden. Während Wartezeiten zu vergüten sind, ist dies bei – wirksam angeordneten – Pausen im Hinblick auf § 8 Abs. 1 MTV nicht der Fall, insoweit besteht keine Vergütungspflicht.

17
b) Pausen sind im Voraus feststehende Unterbrechungen der Arbeit, in denen der Arbeitnehmer weder Arbeit zu leisten noch sich dafür bereitzuhalten hat und frei über die Nutzung des Zeitraums bestimmen kann (BAG 16. Dezember 2009 – 5 AZR 157/09 – Rn. 10). Weil sie keine Arbeit, sondern eine Unterbrechung der Arbeit sind, zählen sie nicht zur Arbeitszeit (§ 2 Abs. 1 Satz 1 ArbZG; BAG 18. November 2009 – 5 AZR 774/08 – Rn. 13) und müssen nicht nach § 611 Abs. 1 BGB vergütet werden (BAG 16. Dezember 2009 – 5 AZR 157/09 – Rn. 11; 20. April 2011 – 5 AZR 200/10 – Rn. 21 mwN, BAGE 137, 366).

18
3. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist der Rechtsstreit nicht entscheidungsreif.

19
a) Nach dem Tatbestand des Berufungsurteils sahen die Schichtpläne zeitlich festgelegte Fahrzeitunterbrechungen vor, die von der Beklagten als „unbezahlte Pausen“ gekennzeichnet wurden. Der Tatbestand stellt aber nicht fest, ob dies für alle Fahrzeitunterbrechungen oder ggf. für welche galt. Während der Fahrzeitunterbrechungen war der Kläger nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts von jeder Arbeits- und Anwesenheitspflicht befreit. Die einzelnen Wartezeiten und Pausen hat das Landesarbeitsgericht aber nicht festgestellt. Soweit für einzelne Monate Schichtpläne zu den Akten gereicht worden sind, ist aus diesen nicht ersichtlich, dass sie gerade die Arbeitszeit des Klägers wiedergeben. Im Übrigen können Anlagen zu Schriftsätzen lediglich zur Erläuterung oder Belegung schriftsätzlichen Vortrags dienen, diesen aber nicht ersetzen. Die Darlegung der Arbeitszeit und der (angeordneten) Pausen hat entsprechend § 130 Nr. 3 ZPO schriftsätzlich zu erfolgen (vgl. BAG 16. Mai 2012 – 5 AZR 347/11 – Rn. 29, BAGE 141, 330; 23. Oktober 2013 – 5 AZR 667/12 – Rn. 14).

20
b) Davon ausgehend hat das Landesarbeitsgericht im neuen Berufungsverfahren festzustellen, welche Wartezeiten der Kläger im Streitzeitraum verbrachte und ob die Beklagte innerhalb dieser Zeitspannen wirksam Pausen angeordnet hatte. Ergeben sich danach vergütungspflichtige Wartezeiten, sind von der noch offenen Vergütung die bereits bewirkten Zahlungen der Beklagten abzusetzen.

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